Mittwoch, 13. März 2013

Abgeworfene Kreuze

"(...) Meine lie­ben Freunde. Ich habe seit 50 Jah­ren die Gefähr­dun­gen unse­rer Kir­che auf­ge­wie­sen. Ich habe gemahnt und gewarnt. Meh­rere deut­sche Bischöfe haben mir unter vier Augen gesagt: „Sie haben Recht!“ Aber in der Öffent­lich­keit haben sie geschwie­gen. 

Die Men­schen­furcht hat Macht über die Men­schen. Der Herr spricht von den Miet­lin­gen, die flie­hen, wenn sie den Wolf kom­men sehen. Sie flie­hen, weil ihnen an den Scha­fen nichts liegt. Papst Paul VI. sprach von den Pries­tern, die aus unse­rem Abend­mahl­saal flie­hen, d. h. ihren hei­li­gen Stand und ihre hei­lige Sen­dung preis­ge­ben.

Flie­hen kann man nicht nur vor Men­schen. Flie­hen kann man auch vor der Ver­ant­wor­tung. Die Flucht vor der Ver­ant­wor­tung hat viel­ge­stal­tige Form. Man wei­gert sich, ein Amt, eine Auf­gabe zu über­neh­men, von der man weiß, dass sie Mut erfor­dert und Kämpfe mit sich bringt. 

Seit Jahr­zehn­ten ist in einem Teil des Kle­rus eine Flucht vor der Seel­sorge zu beob­ach­ten. Sie keh­ren der täg­li­chen Arbeit im Rei­che Got­tes den Rücken und suchen sich ein Betä­ti­gungs­feld an irgend­ei­nem Schreib­tisch, auf einem Ver­wal­tungs­pos­ten, im Lehr­fach, in Orga­ni­sa­tio­nen. Der ordent­li­chen Seel­sorge feh­len die Pries­ter, und an ande­ren Stel­len sit­zen sie herum. Es ist eine Flucht vor der Ver­ant­wor­tung, wenn man als Seel­sor­ger in den Ruhe­stand geht, obwohl man gebraucht wird. Es ist eine Flucht vor der Ver­ant­wor­tung, wenn man in Mehr­heits­ent­schei­dun­gen sich zurück­zieht, statt unge­deckt zu han­deln. 
Es ist eine Flucht vor der Ver­ant­wor­tung, wenn man nichts­sa­gende Sätze for­mu­liert, wie es so viele Bischöfe tun, statt das Kind beim Namen zu nen­nen.

Flie­hen kann man auch vor dem Leid. Wir möch­ten es bequem, ange­nehm, leicht haben. Wir wol­len dem Leid ent­ge­hen. Wenn die Gefahr kommt, dann suchen wir eine Nische auf, in der wir uns ver­ber­gen kön­nen. 
Nach der Legende ver­ließ Petrus in der Zeit der Ver­fol­gung des Nero Rom. Da kam ihm gegen Mor­gen eine Gestalt ent­ge­gen. Petrus erkannte ihn. Es war der Meis­ter. Er fragte ihn: „Herr, wohin gehst du?“ Ernst kam die Ant­wort aus dem Munde Jesu: „Ich gehe nach Rom, um mich noch ein­mal kreu­zi­gen zu las­sen!“ Die Gestalt ver­schwand. Aber Petrus begriff den Sinn der Worte. Er kehrte um und ließ sich in Rom ans Kreuz schla­gen. Das ist eine Legende, aber eine tiefe Legende, mit einem gro­ßen Wahr­heits­ge­halt. Nichts fällt so schwer auf unsere Schul­tern zurück wie ein abge­wor­fe­nes Kreuz.

Wenn wir hören, meine lie­ben Freunde, dass ein ver­trau­ter Jün­ger Jesu zu sei­nen Fein­den über­lief und den Herrn aus­lie­ferte, wenn wir hören, dass seine engs­ten Schü­ler nicht bereit waren, sich in der Gefahr zu ihm zu beken­nen, dann stellt sich uns die Frage: Wie steht es um unsere Ver­bun­den­heit mit dem Herrn und Hei­land? Was wür­den wir tun in einer ver­gleich­ba­ren Situa­tion? 


Gilt für uns das, was Tho­mas von Kem­pen in sei­nem Buche vor 600 Jah­ren geschrie­ben hat: „Jesus hat jetzt viele Jün­ger, die im himm­li­schen Reich gern mit ihm herr­schen möch­ten, aber wenige, die sein Kreuz auf Erden tra­gen wol­len. Er hat viele, die sei­nen Trost begeh­ren, aber wenige, die in der Trüb­sal bei ihm aus­hal­ten wol­len. Er hat viele, die mit ihm essen und trin­ken möch­ten, aber wenige, die mit ihm fas­ten wol­len. Alle möch­ten mit ihm Freude haben, aber wenige für ihn lei­den. Viele fol­gen Jesus nach bis zum Brot­bre­chen im Abend­mahl­saal, aber wenige bis zum Trin­ken aus dem Lei­dens­kel­che.“ 
Ach, meine lie­ben Freunde, dass wir doch treu erfun­den wür­den im Dienste unse­res Hei­lands!

alles aus der Predigt Judas Iska­riot von Prälat Prof. Dr. Georg May

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